09 Juli 2011

Jens Kattermann : Erneut Entwarnung für Handystrahlung

„Immer unwahrscheinlicher“ wird es einer internationalen Meta-Studie zufolge, dass Handynutzung und Krebsentstehung zusammenhängen. Vor einigen Wochen behauptete die WHO noch das Gegenteil 




Laufen Vieltelefonierer Gefahr, einen Hirntumor zu entwickeln? Beinah monatlich erscheinen Studien, die sich in genau diesem Punkt widersprechen. Erst vor sechs Wochen warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO)davor, dass sich für Vielnutzer das Risiko für zwei bestimmte Arten von Hirntumoren erhöhen könnte. Deshalb stuften die Forscher Handystrahlung als „möglicherweise krebserrregend“ ein, obwohl der eindeutige Beweis noch fehlt, dass hochfrequente elektromagnetische Strahlung Krebs verursacht.

Die neue Studie des Britischen Instituts für Krebsforschung gibt nun wieder Entwarnung. Ein internationales Wissenschaftlerteam aus Schweden, den USA und Großbritannien kam zu dem Schluss, dass es keinen überzeugenden Beweis für einen Zusammenhang gebe, nachdem die Forscher in einer sogenannten Meta-Untersuchung vorangegangene Studien zum Thema neu ausgewertet hatten. Darunter war auch die bisher größte Handystudie aus dem Jahr 2010, die 13 000 Nutzer über zehn Jahre hinweg begleitete.



Keine signifikante Häufung von Hirntumoren

In der Fachzeitschrift Environmental Health Perspecticves schreiben die Autoren: „Obwohl noch Unsicherheit bleibt, sprechen die sich häufenden Beweise mehr und mehr gegen die Hypothese, dass der Gebrauch von Mobiltelefonen Hirntumore bei Erwachsenen auslöst.“ Mit dem Studienzeitraum deckten die Forscher sowohl das Aufkommen der Mobiltelefone als auch die Phase ihrer explosiven Verbreitung ab. Weitere Studien aus verschiedenen Ländern kamen zu dem Schluss, dass die Häufigkeit von Hirntumoren in den letzten 20 Jahren nicht signifikant gestiegen ist.

Ein Beweis für die Ungefährlichkeit von Mobiltelefonen ist das aber trotzdem nicht. „Es ist ein sehr schwieriges Forschungsfeld“, sagte der Cambridge-Professor David Spiegelhalter – er war selbst nicht an der neuen Studie beteiligt – der Nachrichtenagentur Reuters. „Selbst wenn die Beweisfähigkeit eingeschränkt ist, zeigt diese Studie deutlich, dass das Risiko so klein ist, dass es schwer auszumachen ist – auch in der riesigen Anzahl von Menschen, die heute Handys benutzen.“

Unterschiedliche Methoden, unterschiedliche Ergebnisse

Woran aber liegt es, dass sich Studien zu ein und demselben Thema immer wieder gegenseitig widerlegen? Ganz einfach an den engen Grenzen der Erkennbarkeit, sagt Maria Blettner, Direktorin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) an der Uni Mainz. Dass manche Studie einen Effekt sieht und die nächste nicht, könnte bei einer so geringen Beweislast an statistischem Rauschen und an Zufallseffekten liegen.

Außerdem beeinflussten unterschiedliche Forschungsmethoden die Ergebnisse. Die neueste Studie ist eine Meta-Analyse, sie wertet bereits vorhandene Studien aus und fasst sie zusammen – und weist in diesem Fall einige methodische Schwierigkeiten auf. Beispielsweise mussten die Teilnehmer rekonstruieren, wie viel sie ihr Handy einige Jahre zuvor benutzt hatten. Solche Gedächtnisaussagen sind oft unzuverlässig. Außerdem können Tumorpatienten, die im Nachhinein der Handynutzung die Schuld für ihre Erkrankung zuschreiben, Ergebnisse leicht verfälschen, erklärt Blettner weiter. Und: Grundsätzlich ist es immer schwerer, einen Zusammenhang auszuschließen als einen solchen zu beweisen.

Auch Kaffee ist „möglicherweise krebserregend“

Überdies widerspricht die Aussage der WHO den neuen Erkenntnissen gar nicht unbedingt, sagte Anthony Swerdlow vom Britischen Institut für Krebsforschung gegenüber Reuters: Die eigene Studie wolle nach bestem Wissen die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Mobiltelefonie und Krebsentstehung bewerten, während die IARC, das Krebsforschungsinstitut der WHO, die Handystrahlung in eine vorgefertigte Risiko-Kategorie einteilen musste. Als „möglicherweise kanzerogen“ gelten nach WHO-Maßstäben auch eingemachtes Gemüse und Kaffee.


Für die meisten stellt sich die Frage, ob von den nicht-ionisierenden Handystrahlen eine Krebsgefahr ausgeht, ohnehin nicht: Das Mobiltelefon ist für viele ein unverzichtbarer Bestandteil des Lebens – sie ließen sich wahrscheinlich auch durch den erbrachten Nachweis eines erhöhten Risikos nicht davon abhalten, es zu benutzen, meinen Fachleute aus der Industrie. Weltweit liegt die Zahl der Handys mittlerweile bei rund fünf Milliarden.